Schwerpunkt: Insolvenzrecht in den EU-Mitglieds- und Kandidatenstaaten
Projektleitung: Dr. Jens Lowitzsch
Probleme des Insolvenzrechts in den Transformationsstaaten
Eigentumstransformation und "revolutionäre Installierung einer Unternehmerklasse"
In den Transformationsländern Ost-, Ostmittel- und Südosteuropas findet neben dem System- als Regimewechsel gleichzeitig ein grundlegender sozial ökonomischer Umbruch statt: die Eigentumstransformation. Dabei stellt die "revolutionäre Installierung einer Unternehmerklasse", als einer der sozialistischen Planwirtschaft fremden Kategorie von Akteuren, die aufgrund von Eigentumstiteln am nunmehr freien Wettbewerb teilnimmt, völlig neue Anforderungen an die Konzeption des Systemwechsels. Die Eigentumstransformation als (Wieder)Einführung des privaten Eigentums wird aus diesem Grund als entscheidender Punkt im Sinne eines "point of no return" im Prozess der Privatisierung vormals staatssozialistischer Rechts- und Wirtschaftsordnungen angesehen.
Stellung des Insolvenzrechts in der Eigentumstransformation
Hand in Hand mit der Etablierung von Unternehmertum geht die Errichtung einer Privatrechtsordnung, in der Wirtschaft und Staat als getrennte Systeme existieren, und die die Rahmenbedingungen für die Teilnahme der neuen Akteure am gemeinsamen Markt schafft. Dazu ist eine eindeutige Risiko- und Haftungszuweisung insbesondere auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts unabdingbar. Ein Kernelement stellt in diesem Zusammenhang das Insolvenzrecht dar, welches alle am Wirtschaftsverkehr beteiligten Subjekte - staatliche wie private gleichermaßen - erfassen muss, um seiner Aufgabe gerecht zu werden.
Der grundlegende Unterschied der Stellung des Insolvenzrechts in der Eigentumstransformation im Vergleich zu der in westeuropäischen Ökonomien liegt nun aber darin, dass hier nicht eine funktionierende Wirtschaftsordnung ein Instrument zur Selbstregulierung sucht, sondern diese Ordnung erst in ihrer Entstehung und Entstaatlichung begriffen ist.
Personalmangel als Transformationshandicap
Anders als in Ostdeutschland ist die Systemtransformation nicht von der "dauerhaften Ersetzung der Eliten des Ostens durch die des Westens" sondern der sukzessiven Erneuerung der alten Nomenklatura durch die nachrückende Generation geprägt. Da dieser jedoch erst seit der Wende adäquate Ausbildungsmöglichkeiten und praktische Erfahrung auf den neuen Märkten zur Verfügung steht, herrscht ein Mangel an im marktwirtschaftlichen System ausgebildeten und erfahrenen Personal auf allen Ebenen. Während in Ostdeutschland also Transformationsauftrag und westliche privatwirtschaftliche Erfahrung kombinierbar waren, war und ist dies in Osteuropa nur selten oder gar nicht der Fall.
Daher ist der Mangel an spezialisierten Spruchkörpern und kompetenten in Berufsvereinigungen organisierten Verwaltern nicht ein institutionelles sondern ein strukturelles Defizit.
Exit-Prozesse als marktgesteuerter Prozess optimaler Ressourcenallokation
Aus makro-ökonomischer Perspektive kann die Insolvenz als eine von mehreren Möglichkeiten gesehen werden, wie Vermögensgegenstände, insbesondere Produktivvermögen, infolge suboptimaler bis schlechter Nutzung einer besseren zugeführt werden. Charakteristisch für diesen Prozess der Ressourcen-(Re)Allokation ist zunächst der temporäre Marktaustritt des Produktionsvermögens; entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg ist daher neben einer möglichst optimalen Zuordnung der Zeitraum bis zum erneuten Markteintritt. Neben den als "klassischen" Mechanismen des Insolvenzrechts auf Grundlage eigens dazu vorgesehener rechtlicher Verfahren bekannten (Konkurs/Vergleich/Reorganisation) sind "nicht klassische" Verfahren zu nennen, die den allgemeinen Regeln des Zivil-, Gesellschafts- und Handelsrechts folgen (Downsizing/Restrukturierung/Asset-Sale). Ihnen kommen gerade in den Transformationsökonomien aufgrund ihrer Flexibilität und Schnelligkeit und vor allem aufgrund des Umstandes, dass sie - im Gegensatz zu ersteren, die regelmäßig gläubigergesteuert sind - vom Schuldner gesteuert werden und damit weniger Konfliktpotential haben große Bedeutung zu.
Staatlicher Einfluss und Industriepolitik
Es scheint, dass die Anwendung des Konkursrechts ab einer gewissen Unternehmensgröße von den Entscheidungen der jeweiligen Regierung abhängt. Dabei deckt sich dies mit Erfahrungen in westlichen (sozialen) Markwirtschaften, in denen der Konkurs von Großunternehmen oft nur durch staatliche Zuschüsse, Steuernachlässe oder andere Maßnahmen abgewendet wurde. Paradoxerweise wird so ab Erreichen einer kritischen Größe der Zusammenhang zwischen Missmanagement und seinen Folgen umgekehrt: je mehr Arbeitnehmer davon betroffen sind, um so geringer sind die Folgen für die Verantwortlichen. Ob hier die Einführung von Konkursstraftatbeständen Abhilfe schaffen kann, ist angesichts der Erfahrungen in Westeuropa fraglich.
Eine restriktive Anwendung des Insolvenzrechts auf dem staatlichen Sektor unterdrückt die Entwicklung auf dem privaten Sektor, da Subventionen des Staatssektors, etwa in Form großzügiger Kredite oder direkter Unterstützung einen Wettbewerb ja gerade verhindern und die bereits privaten Unternehmen benachteiligen. Dazu kommen Verluste vor sich hin wirtschaftender, weder abgewickelter noch privatisierter Unternehmen, die mit zunehmendem Verfall und unterlassener Modernisierung eintretende Einbuße des wirtschaftlichen Potenzials sowie etwaige ökologische Folgen.